FNST: „Auf meiner Lebensreise gab es nur Opfer“
Von Christiane Adam
Geeste. Kein Mitläufer, sondern Rädelsführer: Philip Schlaffer schönt seine eigene Biografie nicht, wenn er Jugendlichen davon erzählt, wie er als Junge aus einem normalen Elternhaus zum Staatsfeind Nummer eins für den Mecklenburg-Vorpommerschen Innenminister wurde.
Der Mann, der an einem Freitagmorgen in der Pausenhalle vor die Schüler der Jahrgangstufen acht bis zehn tritt, macht einen durchweg sympathischen Eindruck. Das war nicht immer so. Wahrscheinlich haben Menschen vor einigen Jahren verängstigt die Straßenseite gewechselt, wenn sie ihn gesehen haben. Philip Schlaffer war Neonazi, Rechtsextremist und zuletzt Chef einer Rockerbande. Heute widmet er sein Leben der Warnung vor Extremismus aller Art und Gewalt.
Ingo Lüttecke und der Friedrich-Naumann-Stiftung ist es zu verdanken, dass Schlaffer die Geschwister-Scholl-Schule in Geeste-Dalum besucht hat. Ursprünglich sollte der Redner zuerst an der Oberschule Lengerich, danach am Gymnasium Georgianum in Lingen und abends in der Stadthalle Haselünne gastieren. „Als wir erfahren haben, dass Lengerich abgesagt hat, sind wir sofort eingesprungen“, erzählt Beratungslehrerin Susanne Zurborg, erfreut über die Gelegenheit, einen so authentischen Redner zu bekommen. Philip Schlaffer spricht die Sprache der Jugendlichen, und wenn er von seinem Werdegang erzählt, schont er sich, aber auch seine Zuhörer nicht.
Immer wieder zeigt er auch Fotos von sich selbst. Sein Start ins Leben 1978 in Lübeck verlief zunächst gut – bis ein einschneidendes Ereignis die erste Wunde in seine Kinderseele schlug. Der Vater nahm die Familie aus beruflichen Gründen mit nach England. „Ich wurde von meinen neuen Mitschülern als Nazi beschimpft“, erinnert sich der damals Zehnjährige an eine sehr schwierige Zeit. Nach vier Jahren dann die Rolle rückwärts. Die Familie ging zurück nach Deutschland. Wieder wurde Philip aus seiner Schule und seinem – inzwischen guten – Freundeskreis gerissen. In Deutschland knüpfte der mittlerweile 14-Jährige nicht wieder an die alten Bande an. Schlechte Noten, Sitzenbleiben, Einsamkeit, „Beef“ (Zoff) mit den Eltern – aus Frust wurde Aggression. „Wer mir blöd kommt, kriegt aufs Maul“, so die neue Devise.
Bereits mit 16 Jahren bot sich ein anderes Familienbild. Mit neuen Freunden kann man Philip Schlaffer inmitten von Neonazis unter dem Hakenkreuz und der schwarz-weiß-roten Flagge sitzen sehen. Die neuen Freunde wurden für den frustrierten jungen Mann zur Ersatzfamilie. Von seiner eigentlichen Familie entfremdete sich der Lübecker immer mehr. „Meine Schwester hat mir später erzählt, dass sie mit 18 von zuhause ausgezogen ist, weil sie Angst vor mir hatte“, gibt er, noch heute tief beschämt, zu.
Das Leben des Schleswig-Holsteiners verlief in einer Abwärtsspirale: Eintritt in die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands, inzwischen „die Heimat“), Kauf einer Kalaschnikow, Umzug mit seiner Freundin, ebenfalls Szenemitglied, nach Wismar, wo er ein Tätowierungsstudio und ein Geschäft für „Nazi-Merch“ (Fanartikel wie T-Shirts, Mützen, Aufkleber etc.) eröffnete. Die zahlreichen Tätowierungen zeigen, dass Philip Schlaffer ein wildes Leben hinter sich hat. „Was hast du mit den verbotenen Zeichen gemacht“, wollte denn auch ein Mädchen wissen. „Die verbotenen Symbole habe ich übertätowieren lassen. Und auch das möchte ich euch mitgeben: Überlegt euch zweimal, was ihr euch tätowieren lasst“, lautete seine Antwort. Um zu zeigen, wie krass sein Lebensstil geworden war, spielte Schlaffer ein Video von einer Demonstration gegen Rechtsradikalismus in Wismar, die direkt an seinem Ladenlokal vorbeiführte, ab. Darauf zu sehen ist er inmitten mehrerer Skinheads, alle mit Baseballschlägern in der Hand. Eine Eskalation konnte nur von der Polizei verhindert werden. Kurz darauf erfolgte die Aussage des Mecklenburg-Vorpommerschen Innenministers: „Philip Schlaffer ist Staatsfeind Nummer eins. Darauf war ich damals stolz“, gibt er zu.
Fühlte er sich bis dahin vielleicht noch wohl in seiner Haut, so reihten sich mehrere krasse Erlebnisse aneinander:ein nächtlicher Überfall auf ihn aus der Berliner Neonaziszene, ein Mord an einemTaxifahrer, der von seiner eigenen Gang nach einer Silvesterfeier begangen wurde. Zwar war er nicht am Mord beteiligt, aber nachdem er geholfen hatte, die Leiche zu beseitigen, wollte er raus aus der Szene. „Aus Angst, einsam zu sein, suchte ich mir eine neue Gruppe“, und er fand sie in einer Motorradgang. Nachdem er auch dort die „Karriereleiter“ bis ganz nach oben schaffte und zum „Präsidenten“ wurde, ging es körperlich und psychisch abwärts mit ihm; das wilde Leben forderte seinen Tribut.
„Ich suchte Zuflucht bei meiner Familie“, und diese hätten mit offenen Armen und Liebe reagiert. Wegen seiner Straftaten musste Schlaffer dann ins Gefängnis. „Dort habe ich mir Hilfe gesucht“, gefunden habe er sie in Gestalt eines Gefängnisseelsorgers und einer Psychologin. So weit, so drastisch. Heute widmet Philip Schlaffer sein Leben der Aufklärung und Prävention. Die Jugendlichen haben aus seinem Vortrag lernen können, was der Unterschied zwischen einem Radikalen und einem Extremisten ist, warum es wichtig ist, Nazis und Neonazis zu unterscheiden, und dass es „eine Superkraft ist, aus einer Gruppendynamik auszusteigen“.
„Es wäre ein Traum, wenn ihr heute hier rausgeht und die Demokratie schützen möchtet. Auf meiner Lebensreise gibt es nur Opfer. Lasst euch von niemandem verführen. Ihr dürft scheitern, aber macht’s danach besser“, gab er den Schülern mit, von denen sich viele nach dem Vortrag ein gemeinsames Foto wünschten; ein Wunsch, dem der 46-Jährige gern nachkam.